Historie: Vom wahren Wohlleben des Waldes

Hess GmbH Geschäftsführer Karlheinz Hess im Gespräch mit Waldwirtschaft heute

Im Jahr 2020 stand Karlheinz Hess, damals noch Geschäftsführer der eigens gegründeten Interforst GmbH einem in Österreich ansässigen Fachmagazin für Forstwirtschaft Rede und Antwort. Die „Waldwirtschaft heute“ ist genau wie Autor Engelbert Kötter in der Branche höchst angesehen. Insofern eine besondere Auszeichnung, dort als Experte so viel Raum eingeräumt zu bekommen, um die eigenen Erfahrungen teilen zu können.

Auch Jahre später aktueller Lesestoff. Viel Freude beim Lesen.

_________

Vom wahren Wohlleben des Waldes

Waldwirtschaft funktioniert nicht von heute auf morgen. Wohl aber heute, für morgen. Handeln im Sinne des Waldes hat dabei feste Wurzeln: das Wissen darum, woher wir kommen und wohin wir gehen. Allerdings haben die gewünschten Effekte forstwirtschaftlichen Handelns an Voraussagbarkeit eingebüßt. Mehr denn je in der Neuzeit ist die Forstbranche einem grundlegenden Wandel unterworfen. Wie findet man hierzu zu Überblick und Orientierung?

In jüngster Vergangenheit kursieren romantische Vorstellungen über den Waldbau, wie sie praxisferner nicht sein könnten. Kopfgeburten, wie sie aber von weiten Teilen der Bevölkerung gerne geglaubt werden. Denn wohlklingend formulierten Kopfkonstrukten und zu kurz gefassten Argumentationsketten können sie keine eigenen forstwissenschaftlichen Erfahrungen entgegen halten. Und können so literarisch-unterhaltsame Spreu von forstwirtschaftlich-faktischem Weizen nicht unterscheiden. Denn kaum etwas schadet dem Wald derzeit mehr, als ihm auf die Anforderungen der Zeit denen er unterworfen ist, augenwischendes Literatentum entgegen zu halten. Statt zukunftsorientierten Handlungskonzepten.

Was aber braucht der Wald für sein Wohlleben auch noch in 150 Jahren? Nichts ist so lebendig und lehrreich, wie das Leben selbst. Verlässlicher als alle filigran formulierten Fiktionen, sind vertrauenswürdige Fakten: Was passiert gerade tatsächlich in der Forstwirtschaft? Warum ist das so? Und wo führt es womöglich hin? Mit welchen Handlungsoptionen? Karlheinz Hess, Inhaber der Fa. Interforst im nordbayerischen Kirchzell, hat in 40 Jahren seiner Arbeit in der Forstbranche ihren aktuellen Wandel Tag für Tag erlebt, begleitet und mitgestaltet. Er besitzt einen vertrauenswürdigen, Tatsachen basierten Erfahrungsschatz. Einen, der weit verbreitete, verantwortungsferne Phantastereien über die Forstwirtschaft überzeugend demaskiert.

Schweigen der Wälder, Sturm des Aufbruchs

Bis zum verheerenden Orkan Wiebke 1990, gab es sie hierzulande noch, die heile Welt des Waldes. Jahrhunderte lang gelebte Nachhaltigkeit: Der ständige Kreislauf von Säen und Aufforsten, von Hege und Einschlag. Getragen von Schweiß und Schwielen, dem Handeln und Hoffen zwischen menschlichem Tun können und unkalkulierbaren Naturgewalten. Von Kreislauf zu Kreislauf in immer wieder neuen Zeiträumen generationenlangen Wartens zwischen Säen oder Setzen und Stammvermarktung. Verlässlich geregelt in hochherrschaftlich, zuletzt staatlich geleiteter Forstbewirtschaftung.

Jede staatliche Stelle hatte 1990 noch eigene Waldarbeiter. Die Reviere waren kleiner als heute, nur 500 bis 800 Hektar groß. Außer besondere Stämme, wie Fass- oder auch Furniereiche, die auf Aktionen gehandelt wurden, wurde das eingeschlagene Holz überwiegend in Sägewerken vor Ort geschnitten und regional vermarktet. Noch 1980 gab es etwa dreimal so viele Sägewerke wie heute. Ein Werk mit weniger als eine Million Festmeter Schnittleistung pro Jahr, ist heute nicht mehr rentabel.

Nach dem Orkan Wiebke in der Nacht vom 28.2. auf den 1.3.1990 änderte sich in Wald und Forst vieles grundlegend. Übernacht hatten Böen bis 200 km/h Geschwindigkeit bundesweit bis zu 70 Millionen Festmeter Holz umgeworfen. Allein der versicherte Schaden belief sich auf 1,5 Mrd. DM. Riesige Holzmengen galt es danach zu verarbeiten und zu vermarkten oder, in der Hoffnung auf später bessere Preise, im Nasslager zwischenzulagern. Als im gleichen Atemzug der Eiserne Vorhang fiel, führte das mit ausgeweiteten Eisenbahnverbindungen zu neuen Handelsverbindungen mit Osteuropa. Speziell Italien, Österreich und eben Ungarn übernahmen große Mengen an Schnittholz, mit Austria als einem noch heute Knotenpunkt der Säge- und Papierindustrie.

Waldwirtschaft – heute ein Dienstleistungssektor

Auch in Deutschland führte diese Zeit des Umbruchs zu neuen Strukturen. Ein praktisches Beispiel: Das Unternehmen Hess Forst im bayerischen Odenwald war 1955 aus einem Zapfenpflückerbetrieb entstanden. Der erntete Koniferenzapfen aus den Wipfeln und gab sie in eine Klenge, hier: Fa. Steingässer in Miltenberg, die daraus die Samen gewann. Diese wiederum wurden in eigener und in anderen Forstbaumschulen ausgesät, um Jungpflanzen zum Aufforsten zu gewinnen.

Nach Wiebke aber, änderte sich die Aufforstungspolitik der Forstbehörden radikal. Kaum mehr wurde Nadelgehölz gepflanzt. Naturverjüngung hieß nun das angestrebte Konzept. Wo dennoch aufgepflanzt wurde, waren das bevorzugt Laubholzmischungen. Um sein Kerngeschäft gebracht, diversifizierte der Zapfenpflückerbetrieb Hess folglich in die Dienstleistung hinein. Pflanz- und Pflegearbeiten, Zaunbau und Mäharbeiten nahmen mächtig zu. Gerade rund um den Firmenstandort in Amorbach-Kirchzell gab es viel Kommunal- und Privatwald, deren Forstarbeiten inklusive Einschlag anfangs noch mit eigenem Personal des Öffentlichen Dienstes erledigt wurden. Nach und nach, wurde aber Kommunal- und Privatwald nicht mehr von der Staatsforstverwaltung beförstert. Im selben Maße wurden bald nahezu alle Arten von forstlichen Arbeiten an Servicedienstleister wie Hess vergeben.

Durch Umorganisation hin zu deutlich umfangreicheren Reviergrößen und durch Privatisierungen der Forstdienstleistungen bedingt, wanderten zahlreiche ehemalige Forstmitarbeiter in besser bezahlte Industrieberufe ab. Die bayerische staatliche Forstverwaltung stellte kaum mehr Nachwuchskräfte ein und förderte noch die Privatisierung. Zudem hatte das Projekt „Aufbau Ost“ jetzt in Deutschland wirtschaftlichen Vorrang, weswegen für die Forstwirtschaft weniger Geld aufgerufen wurde. Zu verlockend also die Idee, den Wald in einen sich selbst tragenden Mischwald umzubauen, der weniger menschliche Eingriffe und Investitionen erfordert. Den neu eingerichteten Großrevieren fehlte jetzt ohnehin eigenes Fachpersonal.

Öffentliche Aufträge an private Unternehmer wie Hess hatten das auszugleichen. So wandelte sich ein ehemaliger Erzeugerbetrieb zu einem Serviceunternehmen. Aus Hess-Forst wurde das heute europaweit agierende Unternehmen Interforst. Aufarbeitungen von Sturmholz z.B., leistete es in den vergangenen Jahren in riesigem Umfang in Deutschland (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen; im Harz und Siegerland), Frankreich (Bordeaux), Italien (Südtirol). Aus zurückliegenden Arbeitskontakten der 1990-er Jahre in den Karpaten, rekrutiert sich in Interforst heute Stammpersonal vor allem an polnischen Mitarbeitern, in bereits der zweiten und sogar schon dritten Generation. Wo mehr und mehr Stürme mehr und mehr Holz auf den Boden bringen, braucht es mehr denn je erfahrene Spezialisten die es aufarbeiten, vermarkten und die frei gewordenen Flächen wieder bepflanzen und die Schonungen auf Zuwachs hin verlässlich pflegen.

Was früher mit Manpower erledigt wurde, muss heute und aus Kostengründen mit Harvester, am Hang mithilfe der Seilwinde geleistet werden. Bezahlbarer Holzeinschlag heißt heute: Höchstmaß an Maschineneinsatz. Sehr zur Erleichterung derjenigen, die dennoch und noch immer viel klassische Handarbeit im Forst zu leisten haben.

 

Neue Vermarktungsformen

Bis zum Orkan Wiebke, war die Holzvermarktung strikt nach Handelsklassensortierung (HKS) geregelt. Das eingeschlagene, abgelängte Holz wurde in Poldern am Weg abgelegt, vermessen und ausgezeichnet. Dort wurde es von den Aufkäufen bzw. Fuhrleuten übernommen. Der Preis war anhand der HKS-Tabellenwerte festgelegt und wurde nach diesen verkauft. Heute ist diese Jahrzehnte lang gültig gewesene Tradition undenkbar geworden, weil der Holzpreis vom Markt geregelt und nicht mehr vorgegeben wird. Und wo Stürme und Schädlinge für so viel verfügbares Holz wie noch nie im deutschen Markt sorgen, kommt es heute stärker denn je auf die geschickte Vermarktung an: Auf das Wissen, wer wo im Markt wann welche Holzarten und -mengen benötigt. Nur so (inkl. Kostensenkung durch Maschineneinsatz) lässt sich im Wirkungsgefüge von Angebot und Nachfrage angesichts des herrschenden Angebotsüberhangs Holz auch heute noch zumindest mit schmalen Erträgen verkaufen. Auch ist die spitz zielgerichtete Holzvermarktung moderner Art längst zu einem internationalen Just in Time-Geschäft geworden.

Solche Holzvermarktung unter den Regeln des Hier und Heute bedeutet für das Beispielsunternehmen Interforst, zwischen Massenholz (z.B. Käferholz, für Bauholz) und wertigerem, besser bezahltem Holz in Sondersortierungen oder in anderer Güte zu unterscheiden. Es gilt, das Ohr am Markt zu haben und zu wissen, wo im Weltmarkt gerade welche Längen und Sortierungen in welchen Mengen benötigt werden. In der Karibik und in Mittelamerika beispielsweise, wird Holz mit dem Normmaß acht Meter Balkenlänge benötigt, wohingegen China seine international zugekauften Holzmengen in zahlreichen verschiedenen eigenen nationalen Normmaßen verlangt.

Auch geht es im internationalen Holzhandel nicht mehr allein um simplen, linearen Holzversand, sondern auch hier längst um differenzierte und diffizile Verschachtelungen jeweils bestmöglich gewählter (sprich: auf die Anforderungen des Kunden hin optimierter) Logistikkomponenten.

So zum Beispiel um weltweit organisierte Sortimentsbündelungen: Menge und Zuschnitt passend für einen Kundenauftrag finden, beschaffen, bündeln, versenden und liefern. Just in Time. Unterschiedliche Länder leisten das unter den Bedingungen ihrer eigenen Infrastruktur unterschiedlich. Schweden etwa, liefert sein Holz im Braek Bulk, d.h. schiffsladungsweise frei geschichtet, nicht im Container. Deutschland wiederum ist Holz-Containerland. Deutsche Häfen haben nicht den Platz, leicht einmal 10.000 Festmetzer Holz wahlweise zu laden oder zu lagern. Wiederum Schweden, auch Neuseeland, haben dazu eigene Docks mit Spezialkränen. Solche Aufteilung im Weltmarkt funktioniert – noch immer und im großen Stil.

Doch auch auf den individuellen Kundenanspruch kommt es mit an: China etwa, zieht die Holzlieferung im Container vor: passgenauer, einfacherer Transport, leichtere Ver- und Entladung, leichtere Lagerung. Gerade Holz ist ein für China besonders interessanter Rohstoff für den Bezug im Container. Es sollen ja Container, nachdem die in ihnen importierte Chinaware in Deutschland und Europa gelöscht worden ist, nicht leer nach China retourniert werden. Zudem müssen die Containerschiffe auch auf dem Rückweg nach Ostasien ausgelastet werden.

Praxisbeispiele: Frachtkosten

Das führt dazu, dass eine Seefracht von Hamburg nach China zurzeit billiger ist, als die Landfracht von Frankfurt zur Seeverladung nach Hamburg. So kostet z.B. eine Containerladung Holz (30 FM Nadelholz, inkl. Papiere und Begasung [allein das kostet über 100 US-Dollar] in der Seefracht Hamburg-China rund 1.200 US-Dollar. Die zuliefernde Landfracht Frankfurt-Hamburg ist im Schnitt um zehn bis 20 Prozent teurer. Hinzu kommt: Während der Corona-Krise 2020 verdoppelten sich die Transportkosten von Hamburg nach Antwerpen, bei gleichzeitig extrem niedrigem Holzpreis.

Welche Auswirkungen die soeben eröffnete neue Seidenstraße auf den Holzhandelsverkehr mit China haben wird, ist derzeit noch gar nicht abzusehen. Der europäische Holzhandel mit China wird jedenfalls weiterhin große Bedeutung haben. Denn: China hat keinen nachhaltigen Waldbau betrieben, also auch nicht eigene Bestände nachgepflanzt. Gleichzeitig wächst der Holzbedarf weiterhini stark. Mit zunehmendem wirtschaftlichem Wohlstand der Bevölkerung boomt nämlich in China die Bauwirtschaft. Die verlangt nach ausreichend Bauholz. Das muss importiert werden. Folgt der Innenausbau: Für den neuen, wohlhabenderen Mittelstand gilt der Ausbau mit Holz (z.B. Vollholzböden und -decken) als ein Statussymbol. Zur Erinnerung: mit ca. 1,4 Mrd. Menschen ist die Bevölkerung Chinas nahezu doppelt so groß wie die ganz Europas (ca. 740 Mio.).

Technischer Entwicklungsdruck

Wirtschaftliche weltweite Holzvermarktung in neuen Strukturen führt zu neuen Denk- und Handlungsweisen. Die deutsche Forstindustrie kalkulierte ihren Holzverkauf früher frei Waldstraße. Auf den HKS-Preis erfolgte der Aufschlag für LKW-Fracht, eventuelle Maut und Zölle, zzgl. Steuern. Das in all seiner örtlichen Vielfalt und Variabilität, war höchst individuell und daher generell nicht genau planbar. Doch die Situation hat sich gewandelt. Holzeinkauf bedeutet jetzt, GPS gestützt: Festpreis frei Werk, inklusive Transport, Gebühren, Steuern und sonstiger anfallender Kosten.

Dank digitaler Möglichkeiten, wäre heute eine elektronische Holzbörse in Echtzeit grundsätzlich denkbar. Mit dem Vorteil, rund 23 Prozent Leerfahrten wie sie noch immer anfallen (nicht voll ausgeschöpfte Bündelungsmöglichkeiten) zu vermeiden und so die Frachtpreise um bis zu 23 Prozent zu senken – als Mehrertrag in der Wertschöpfungskette oder als weitere Holzpreisreduzierung.

In Schweden etwa gelingt mithilfe von GPS eine längst viel straffere Organisation der landesweiten Holzlogistik. Per Scanner werden dort die am Polder angebrachten Markierungen erfasst. So wird sofort ermittelt, wie viel Prozent welcher Lieferungsbündelung für welchen Kunden und welchen Termin gerade verladen wird. Diese Daten werden vom Sägewerk oder Händler direkt digital übernommen. Ganz ohne Papierkriegspfade. So wird in Deutschland nur mit besonders wertvollem Holz (wie Furnierholz) so verfahren. In der konservativen deutschen Forst- und Holzbranche gelingen Einführung und Durchsetzung digitaler Arbeitsweisen und Standards nämlich vergleichsweise nur sehr zäh.

Doch der Entwicklungsdruck es tun zu müssen, steigt. Denn effiziente Holzvermarktung geschieht auch in Deutschland nur noch zielgerichtet und exportorientiert. Das wiederum gelingt nur noch im Konzert von Big Playern. Regionale Kleinstmengen verschwinden mehr und mehr aus dem Markt, zusehends. Und mit ihnen sterben die kleinen Sägewerke aus. Es ist jetzt die Zeit der Mengen- und Frachtenbündeler.

Hinzu kommt: Mit dem Wegfallen der staatliche Beförsterung sind Kommunen und Bewirtschafter von Großprivatwald aus kartellrechtlichen Gründen dazu verpflichtet, ihren Einschlag nicht mehr selber zu befördern und zu vermarkten. Erschwerend kommen unterschiedlichen Regelungen auf Länderebene hinzu. Das alles führt zu neuen Zusammenschlüssen in der privatwirtschaftlich organisierten Beförsterung, Bewirtschaftung und Holzvermarktung. Mit neuen Organisations- und Handlungsmodellen. So dem modulweisen Aufbau künftiger Forstwirtschaft.

Beispiel: das „Förster in Company“-Modell. Hier arbeitet ein ausgebildeter Förster auf Zeit in einem solchen, o. g. Bewirtschaftungszusammenschluss. Innovativen Modelle wie diese, wurden schon um ca. 2005 in Bayern als dem ersten Bundesland in Deutschland erprobt. Andere Länder zogen später nach.

In der Perspektive, wird es bundesweit künftig eine zweigleisige Beförsterung geben, inklusive möglicher Mischformen, das werden sein a) Beförsterung des Privat-, Kommunal- und Körperschaftswaldes und b) Beförsterung der Staatsforsten.

Konkretere Aussagen zum Wie der Beförsterung der Zukunft sind zurzeit nicht möglich, indem die Dinge sich gerade erst weiter wandeln und entwickeln. Zu erwarten steht allerdings ein Kosteneffekt an, wie er sich aus der Massenvermarktung auf Grund gesenkter Grenzkosten ergeben dürfte. Bei all dem, darf trotz Effektzugewinnen dank Technisierung die Komponente Mensch nicht aus dem Blick geraten. Mehr Stürme, mehr Schädlingsholz (längst nicht mehr nur Käferholz!), bei zeitgleich weniger qualifiziertem Personal – das passt bei jedem der mitdenkt so ganz sicher nicht zusammen.

Bewusstseinsänderung hin zu mehr Wertschätzung

Schon mal Waldbaden gewesen? „Waldbaden“ steht für das komplette Eintauchen von Menschen in das Erlebnis Wald. Bäume umarmen, inklusive. In Zeiten des Wandels (z.B. Digitalisierung), der Unsicherheit (z.B. Zunahme zerstörerischer Naturereignisse, Globalisierung) und der Orientierungslosigkeit (z.B. Genderdiskussion, Aufbrechen traditioneller Wertemuster, Autoritätsverlust angestammter Orientierungspunkte) erleben viele den Wald und seine Bäume als Sinnbilder und sogar scheinbare Ankerpunkte von Beständigkeit. Etwas an das sie sich umarmend klammern mögen, obwohl das Werden und Vergehen des Waldes geradezu selbst ein Sinnbild von Vergänglichkeit ist. Sogar begraben lassen sich Menschen in dieses Sinnbild hinein, in Friedwäldern. Noch vor einer Generation war es für Christen ein Muss und Wollen, in die geweihte Erde eines Friedhofes hinein beerdigt zu werden. All dem hinzu kommt zurzeit die neue Wertschätzung des Waldes als Boden- und Wasserschützer, ökologischen Knotenpunkt, Habitat, Menschenversorger mit Sauerstoff, Luftfilterer, CO2-Binder, Naherholungsfläche und historisches Kulturgut. Egal ob stadtnah oder ländlich lebender Mensch: In vielerlei Hinsicht erfährt der Wald bei ihm soeben eine neue und weitreichende Wertschätzung.

Im ländlichen Raum ist der Wald zugleich Arbeitsumfeld geblieben. Wie seit Jahrhunderten wird er dort holzwirtschaftlich genutzt, um mit dem Einschlag Einkommen zu erwirtschaften. Das „Cluster Holz“ ist noch heute, nach Umsatz, die sechst größte Branche in Deutschland. Die Anerkennung seiner Bedeutung als Wirtschaftsfaktor inklusive Arbeitsplatzgarant ist jedoch über die Wahrnehmung des Waldes durch die Bevölkerung von anderen, noch handfesteren Facetten überblendet. Mit zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheiten für die Betreiber: Welche Baumarten bieten zeitnahen Ertrag, wenn die Fichte als Brot-, Butter- und Bauholzbaum von der Waldfläche verschwindet? Welche Baumarten bieten statt ihrer dann langfristige Sicherheit, wenn die Hauptbaumart Rotbuche in 50 bis 70 Jahren im Rotbuchenland Deutschland klimabedingt selbst in kühlfeuchten Nordlagen kaum mehr wachsen wird?

Und überhaupt: Sind Wertschätzungswald der Bevölkerung und Wirtschaftswald der Forstindustrie eigentlich miteinander vereinbar? Wie steht es um Einzelaspekte, wie die gesetzlich abgesicherte freie Begehbarkeit des Waldes durch jedermann, wenn z.B. die Verkehrssicherungspflicht durch den Waldbesitzer wegen epidemologischem Befall von Rotbuchenbeständen mit Rotbuchen- oder Münzenförmigem Rindenkugelpilz (Biscogniauxia nummularia) gar nicht mehr geleistet werden kann?

Gegenpole bilden auch Forstwirtschaft und Wildbestand zueinander. Wo die Bevölkerung Bambischutz einfordert, muss dennoch Wildverbiss zuverlässig unterbunden werden. Zaunbau allein, kann das nicht regeln. Noch immer gilt: ohne Wildbestandsregulierung kein holzertragreicher Wald.

Projektbeispiel: Der ChurfrankenWald

Als Churfranken bezeichnet sich die nordbayerische Mainregion an der Nahtstelle von Spessart und Odenwald. Zwischen Wertheim und Aschaffenburg, liegt Churfranken vor den Toren der Metropolregion Frankfurt / Rhein-Main. In der waldreichen Region hat Interforst das Projekt ChurfrankenWald initialisiert. Mit seiner Hilfe wird der Bevölkerung wie auch den Besuchern der Region die besondere Bedeutung des Waldes erlebbar gemacht. Dazu benennt jede teilnehmende Churfranken-Kommune einige für sie historisch oder aktuell besonders wichtige, möglichst einzigartige Bezugspunkte zu ihrem Wald. Diese werden verortet, so dass an den entsprechenden Stellen im Wald Erlebnispunkte entstehen. Alle Erlebnispunkte zusammen, ergeben Themenwanderwege zu Waldaspekten: der Wald als Boden- und Wasserschützer, ökologischer Knotenpunkt, Habitat, Holzversorger, Naherholungsfläche und historisches Kulturgut. So etwa verweisen die Ruinen des „Großheubacher Saustalls“, ein Jahrhunderte alter Sandsteinpferch, auf die dort üblich gewesene Nutzung des Waldes zur Eichelmast der im Dorf gehaltenen Schweine. Auf Bildtafeln und bei touristischen Führungen wird die Bedeutung des Waldes lebhaft vor Augen geführt. Das Ziel des ganzen: in Menschen einen facettenreichen Bezug zu ihrem Wald wecken.

Waldperspektiven, Wirtschaftlichkeitsperspektiven

Nach Orkanen und Stürmen wie Daria, Lothar und Wiebke wurde die Umwandlung ehemaliger Nadelwaldflächen in Mischwald massiv vorangetrieben. Gewünscht war ein Mischwald, der sich selber erhält. Die Einrichtung von Mischwald galt als Akt der Boden-, Humus- sowie der gesamten ökologischen Verbesserung des Habitats Wald, inklusive seiner Artenvielfalt.

Was dabei leicht in Vergessenheit zu geraten droht: Es hatte die Fichte in den zurückliegenden Jahrzehnten durchaus ihre Begründungen. Sie erlaubt baldigen Hieb, wurde also nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich dringend benötigt (z.B. für Wiederaufbau, Reparationszahlungen, Einkommen). Flächen zu Mischwald umzugestalten, hat in den zurückliegenden zwanzig Jahren seine ganz eigenen Erfahrungen mit sich gebracht und ist nicht allerorten sofort gelungen.

Heute stehen der Klimawandel und seine Folgen für den Wald im Fokus der Betrachtungen (z.B. Wassermangel – oder Wasser in Schüben: Sturzregen trifft Monate lange Trockenheit). Durch stärkere Temperaturschwankungen passieren auch in Mitteleuropa häufiger Stürme mit mehr Windwurf. Das bedeutet punktuell riesige Holzmengen am Markt. Sie müssen zwingend zeitnah vermarktet werden, weil der Rohstoff Holz ohne Qualitätsverlust nur schwer lagerbar ist.

Waldumbau, Klimawandel – noch immer zeichnet sich zurzeit nicht zuverlässig ab, welche Baumarten künftig den deutschen oder gar mitteleuropäischen Wald als Leit- oder Nebenbaumarten besiedeln werden. Vermutlich werden heutige Exoten wesentlich dazu gehören. Arten, die das Klima der Zukunft hierzulande aufgrund ihrer Herkunft von wärmeren, trockeneren Standorten in ihren Heimatregionen besser vertragen werden. Oder wird es zielführender sein, Eigenschaften heimischer Gehölzarten züchterisch-genetisch an Wachstumsbedingungen des Waldes der Zukunft anzupassen?

Heute durch Trockenheit bereits stark geschädigte Bestandsbaumarten sind derweil ein gefundenes Fressen für allerlei Sekundärschäden, wie Schädlingsbefall. Und das quer über alle Massenbaumarten hinweg, wie Buche, Fichte, Kiefer und Douglasie. Einzig Stiel- und Traubeneiche scheinen dort, wo sie nach Boden, Gelände und Höhe passen, zu den (derzeit noch) empfehlenswerten Forstbaumarten zu zählen.

In der beruflichen Laufbahn vergangener Jahrzehnte bekamen Forstleute in ihrer Praxis kaum die Vielfalt der Schädlinge zu Gesicht, wie sie sie während ihrer Ausbildung in den Lehrbüchern (z.B. „dem Amann“) aufgeführt fanden. Heute hingegen begegnet ihnen auf nur einem Hektar Waldfläche nahezu alles, was das Schulbuch hergibt. Besonders Maikäfer vermehren sich zurzeit extrem, speziell auf trockeneren Sandböden. Bei zugleich nahezu keinen erlaubten Abwehrmitteln.

Praxisbeispiele: Hotspots Harz und Sauerland

Beide Naturräume sind klassische Fichtenstandorte. Beide unterlagen zuletzt starkem Windwurf, der nicht komplett aufgearbeitet werden konnte, weil der internationale Holzmarkt die zusätzlichen gigantischen Holzmengen nicht mehr aufgenommen hat. Hinzu kommt starke Trocknis der die Bestände schwächt, speziell im Harz. Aufarbeiter des Holzes sind in Harz und Sauerland gegenüber dem Borkenkäfer längst ins Hintertreffen geraten. Kaum mehr gelingt es ihnen, das Schadholz aus dem Wald zu schaffen. Zu groß sind die anfallenden Mengen. Von nicht aufgearbeitetem Sturmholz blockierte und von schädlingsbefallenen Bäumen besiedelte Flächen behindern es oft viel zu lange, diese Standorte zügiger zu gesundem, wüchsigem Mischwald umzubauen. Auf dicken Lagen Nadelstreu und bei liegen gelassenen Mengen von Nadelholzwipfeln gestaltet es sich umso schwieriger, aufgeforsteten Nachbau überhaupt hochzubringen. Je trockener, desto schwieriger. Verantwortliche haben es mitunter schon aufgegeben, in solchen desaströsen Situationen geregelte Waldwirtschaft überhaupt noch zu betreiben. Besitzer verschenken inzwischen sogar ihren Wald, weil sie die Räumpflicht der sie unterliegen teurer zu stehen kommt, als es der zu erwirtschaftende Ertrag den Aufwand lohnen würde.

Nächster erwarteter Hotspot im beschriebenen Sinne, dürfte der Südschwarzwald werden.

Und die Entwicklung der Wirtschaftlichkeit?

Während in anderen Weltgegenden tendenzieller Holzmangel besteht, wächst in Deutschland zu normalen Zeiten mehr Holz nach, als hier gefällt wird. Auch Frankreich und Schweden mit ihren sehr großen Beständen sind wichtige europäische Holzexporteure.

Je größer aber die Schäden an Wald und Bäumen, desto größer die Holzvermarktungsmenge in der Warteschleife, desto desaströser der Weltmarktpreis. Bei Aufarbeitung der Schäden in Volllast, sind zurzeit nur etwa 30 bis 40 Prozent des anfallenden Holzes absetzbar. Holzbesitzer verschenken sogar ihr Holz an Händler: „Nehmen sie es mit. Hauptsache, es ist fort.“ Angesichts Angebotsüberhang und Tiefstpreise im Markt, verschenkt Deutschland seit zwei Jahren umgerechnet den Holzvorrat eines ganzen Jahrzehnts!

So lohnt es, die Nachhaltigkeit seines eigenen waldwirtschaftlichen Tuns zurzeit so wie lange nicht zu hinterfragen: Wie lange noch, kann eine solche Wirtschaftsweise – abgesehen von ihrer mangelnden Sinnhaftigkeit – überhaupt durchgehalten werden? Was würde in Wald und Markt passieren, würde auch nur einmal fünf Jahre lang kein weiteres Holz eingeschlagen werden?

Und es wird noch kurioser: Bei aller mangelnden Wirtschaftlichkeit der momentanen Waldwirtshaft, kaufen jedoch Pensions- und Rentenfonds große Waldflächen auf. Sie tun das mit Blick auf erhoffte langfristige Wertstabilität dieser Wälder, als langfristig sichere Anlagemöglichkeit. Das spiegelt ihre Einschätzung von Renditeerwartung und Anlagesicherheit im klassischen Finanzmarkt nur allzu deutlich wider.

………………

All die hier beschriebenen Aspekte der zurzeit beobachtbaren Veränderungen die der Wald in diesen Jahren erfährt, unterliegen dem weiteren Wandel. Hier aufgeführte Fakten, angestellte Überlegungen und zukunftsorientierte Abwägungen können sich schon morgen weiter oder ganz anders entwickelt haben. Was jedoch bleibt, ist diese Situationsbeschreibung im Jahre 2020, als ein zeitgenössisches Zeugnis zum Zustand der heimischen Forstwirtschaft in bewegten Jahren wie diesen.

© 2020 Engelbert Kötter, Walldürn-Rippberg